ANDREAS MÖLZER
Abgeordneter zum Europaparlament

Spezialinformation: Revolten in der islamischen Welt – Türkei, Syrien und Ägypten – Endstation arabischer Frühling?

 

Gut drei Jahre nach Beginn der Welle von Protesten, Aufständen und Revolutionen gegen die autoritär herrschenden Regimes etlicher Staaten im Nahen Osten und Nordafrika ist Ernüchterung eingekehrt. Die erwartete Demokratie und den erträumten Wohlstand hat der „Arabische Frühling“ keinem Land gebracht. Ganz im Gegenteil: Die islamische Welt scheint sich schwer zu tun mit der Demokratisierung, daran können auch Abermillionen an Subventionen aus dem Westen nichts ändern. Und auch die sogenannte „islamisch geprägte Demokratie“ des Musterknaben Türkei hat jüngst gezeigt, wie weit man tatsächlich vom westlichen Demokratieverständnis entfernt ist.


Der Preis der Arabellion – Teures Öl

Aus Angst vor politischen Umstürzen halten die Regierungen ölreicher Länder ihre Bevölkerung mit Vergünstigungen bei Laune, dafür verzichten die Bürger auf ihr Recht auf politische Partizipation. Die dafür anfallenden erhöhten Ausgaben belasten die Budgets der Ölförderländer. Und das wiederum treibt den Ölpreis in die Höhe. Ebenso wie die finanziellen Unterstützungen der Ölstaaten für die syrischen Rebellen und das ägyptische Militär finanziert werden müssen. Auch die Syrien-Krise und die Spannungen im Sudan wirken sich negativ auf die Ölversorgung aus. Ein Präventivkrieg Israels und der USA gegen den Iran (um die Anlagen des iranischen Atomprogramms zu zerstören) würde den Ölpreis gar in lichte Höhen katapultieren.


Türkische Schein-Demokratie

Gewiss, verglichen mit den Diktaturen und Mullah-Regimes anderer Länder mag das Land am Bosporus mit seiner islamisch geprägten Demokratie tatsächlich ein Fortschritt sein. Allerdings hat Premier Erdogan jüngst sein wahres Gesicht derart gezeigt, sodass selbst die größten EUphoriker in Brüssel nicht länger schönreden können, dass Ankara sich kaum in Richtung Europäische Union bewegt und es hinsichtlich der Grund- und Menschenrechte, die laut den Kopenhagener Kriterien Grundvoraussetzung für einen EU-Beitritt sind, große Mankos gibt.

Schon der Prozess gegen die angeblichen „Ergenekon-Verschwörer“ mit einer ganzen Reihe von Missachtungen rechtsstaatlicher Prinzipien hat gezeigt, wie ernst es Erdogan mit der Demokratie wirklich ist. Ergenekon wurde als Freibrief missbraucht, gegen all jene vorzugehen, die sich der Ideologie der Regierung widersetzten. Nach wie vor ist die Türkei hinsichtlich Meinungs- und Pressefreiheit eher mit einem Dritte-Welt-Staat als mit einem europäischen Land zu vergleichen. Seit dem dritten Wahlsieg der AKP vor zwei Jahren braucht Erdogan die Medien nicht länger mit einer Klageflut einzudecken. Aus Angst, keine staatlichen Inseratenaufträge mehr zu erhalten, oder wirtschaftlich ruiniert zu werden, wagt keiner mehr auch nur die leiseste Regierungskritik. Als die Mehrheit der türkischen Presse die Proteste um den Istanbuler Gezi-Park im Mai einfach ignorierte und die Behörden brutal gegen die Demonstranten vorgingen, da konnte selbst Brüssel nicht länger so tun, als wäre alles eitle Wonne. Auch der Friedensprozess, den Ankara und die kurdische PKK gerade erst im Frühjahr vereinbarten, scheint gescheitert. Bestenfalls gibt es Alibi-Zugeständnisse an die Kurden. Und anders als die Bürokraten im fernen Brüssel, welche Reformen auf dem Papier oft für bare Münze nehmen, ließen sich die Kurden nicht mit leeren Worten abspeisen. Die Christen werden weiter diskriminiert, der Armenier-Genozid wird geleugnet, das Zypernproblem ist völlig ungelöst, und natürlich ist die Türkei auch ein Frontstaat zu Syrien, was für Europa auch ungeahnte Probleme brächte, wenn sie Mitglied wäre.


Die Lira-Flaute

Mit seinem Vorgehen gegenüber den Demonstranten hat Erdogan viel an internationalem Vertrauen verspielt. Dabei ist die Türkei auf den kontinuierlichen Kapitalstrom aus dem Ausland angewiesen. Hinzu kommt, dass die Lira seit langem unter enormen Abwertungsdruck steht. Außerdem ist das Land stark von Energieimporten abhängig, was angesichts steigender Erdölpreise zusätzlich auf die Lira drückt.

Nachdem die Kombination aus kränkelnder Währung und tiefen Zinsen keine neuen Investoren lockt und in den letzten Jahren notwendige Reformen verabsäumt wurden, wird es wohl auch mit der Türkei wirtschaftlich bergab gehen. Gerade dem (durch EU-Vorbeitritts-hilfen mitfinanzierten) steigenden Wohlstand hat Erdogan indes seinen Aufstieg zu verdanken. Und wie wird er dann erst mit den zu erwartenden sozialen Unruhen und Protesten umgehen?


Unregierbares Ägypten

Nach dem Militärputsch gegen Mursi, der zwar auf demokratischen Wege zum Präsidenten gewählt wurde, indes undemokratisch regierte und es verabsäumte, sich um die strukturellen Probleme zu kümmern, war das Land in zwei unversöhnliche Lager gespaltet. Die USA waren mehr um die Entwicklung des ägyptischen Militärs besorgt, das sie seit Jahren großzügig unterstützten, und multilaterale Kreditgeber verlangten Finanzreformen, während die Unterstützung der ohnedies bereits angeschlagenen Wirtschaft in den Hintergrund geriet. Die politischen und wirtschaftlichen Probleme des Landes schaukeln sich seitdem gegenseitig hoch. Damit mutierte Ägypten zu einem weitgehend unregierbaren Land, das nach wie vor auf großzügige Spenden aus dem Ausland angewiesen ist. Jener Demokratisierungsprozess, der einst als Vorbild für andere arabische Länder galt, liegt nun also in Scherben.


Ratloser Westen

Der demokratisch gewählte Muslim-Präsident Mursi in Haft während der Ex-Diktator entlassen wurde – das gilt als symbolisches Ende der Demokratie-bestrebungen Ägyptens. Unterdessen werden die Muslimbrüder immer mehr niedergeschlagen und in die Illegalität getrieben. Damit wiederum steigt die Gefahr der Radikalisierung.

Als Reaktion auf die anhaltende Gewalt in Ägypten hat die EU ihre Waffenlieferungen ausgesetzt. Drohungen, den Geldhahn zuzusperren, verpuffen erfolglos. Denn die Muslimbrüderschaft, die mit Mursi vorübergehend an der Macht war, wird seitens der arabischen Monarchen als Bedrohung für den eigenen Herrschaftsanspruch angesehen. Solange jedoch das ägyptische Militär von den arabischen Ölstaaten finanziert wird, bleibt der Westen ohnmächtig.


Blutiger Bürgerkrieg in Syrien

Als er im Vorjahr eine „rote Linie“ definierte – dem Einsatz von Chemiewaffen – ließ US-Präsident Obama in dem seit mehr als zwei Jahren tobenden syrischen Bürgerkrieg nur eine Option für einen Militäreinsatz offen. Da es indes in Syrien nichts zu gewinnen gibt und sich das Chaos im Falle einer Intervention nur vergrößern (schlimmstenfalls sogar die ganze Region destabilisieren) könnte, wurde weltweit nach Auswegen gesucht, um dem mit dem Giftgas-Angriff (bei dem es noch dazu jede Menge Ungereimtheiten gibt) unter Zugzwang stehenden Obama eine Möglichkeit zu bieten, sich aus dieser Sackgasse wieder heraus zu manövrieren. Schließlich hat niemand Interesse dran, dass der Westen auch Kämpfern al-Quaida-naher Gruppen, die ja im syrischen Bürgerkrieg eine große Rolle spielen, quasi Feuerschutz gibt.


Christenverfolgung

Christen sind nachweislich die weltweit am meisten verfolgte Gruppe. Immer mehr werden Christen zur Zielscheibe der Rebellen in Syrien. Oft werden sie entführt - mit hohen Lösegeldforderungen. Wie Ägypten und Libyen zeigen, steht auf Sicht in Syrien keine Demokratie im westlichen Sinne zu erwarten. Die EU darf sich jedenfalls nicht in den Syrien-Konflikt hineinziehen lassen und muss eine Strategie für ein Post-Assad-Syrien mit Schwerpunkt auf eine Verbesserung der Lage der Christen entwickeln.

 

Ist Demokratie in arabischen Ländern möglich?

All diese Beispiele führen deutlich vor Augen: Weder Millionen-Subventionen noch der sogenannte Annäherungsprozess an die EU bringen zwangsläufig mehr Demokratie in ein Land. Das sind Werte, für die die Bürger selbst kämpfen müssen, demokratische Prinzipien müssen von einer Gesellschaft getragen werden, die sich für die Einhaltung dieser Spielregeln auch einsetzt. Und Demokratie sowie Verbesserungen der Lebensbedingungen brauchen Zeit. Die Geduld dafür haben aber die wütenden Menschen in den arabischen Staaten nicht. Manche Experten sind der Ansicht, dass die Trennung von Staat und Religion, wie sie sich in Europa mühsam entwickelte, das Fundament ist, auf dem eine Demokratie erst gebaut werden kann. Und genau gegen diese Trennung in der Türkei, den sogenannten Laizismus, ist Erdogan unter dem Vorwand der Demokratisierung und des EU-Beitrittes vorgegangen, indem er das Militär, traditioneller Hüter der türkischen Laizität, unter zustimmenden Jubel der Brüsseler Granden aus den Machtpositionen hievte. Die Türkei betreibt durch ihre Regierung eine Politik der Islamisierung im Inneren und nach außen hin eine neo-osmanische Machtpolitik. Wir müssen uns also klar sein, dass diese Beitrittsverhandlungen im Grunde ein Hohn sind, der schnellstmöglich abzubrechen ist. Wir müssen uns klar sein, dass die Türkei natürlich ein wichtiger Partner für die EU ist, aber sicher kein europäisches Land. Sie wird es auch nicht werden.

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